Träume und Fakten -

Aus dem Leben von Carl Jung

Das rote Buch

Das Zimmer der Mutter

Meine Eltern schliefen getrennt. Ich schlief im Zimmer des Vaters. Aus der Tür zum Zimmer der Mutter kamen beängstigende Einflüsse. Nachts war die Mutter unheimlich und geheimnisvoll. Eines nachts sah ich aus ihrer Tür eine etwas luminose, unbestimmte Gestalt treten, deren Kopf sich nach vorn vom Hals abhob und in die Luft vorausschwebte, wie ein kleiner Mond. Sofort entstand ein neuer Kopf, der sich wieder abhob. Dieser Prozeß wiederholte sich sechs- bis siebenmal. Ich hatte Angstträume von Dingen, die bald groß, bald klein waren. So z. B. eine kleine Kugel in weiter Entfernung, die sich allmählich annäherte und dabei ins Ungeheure und Erdrückende wuchs, oder Telegraphendrähte, auf denen Vögel saßen. Die Drähte wurden immer dicker, und meine Angst wurde immer größer, bis ich daran erwachte. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 24-25)

 

Eine riesengroße schwarze Gestalt

Es war Nacht an einem unbekannten Orte, und ich kam nur mühsam voran gegen einen mächtigen Sturmwind. Zudem herrschte dichter Nebel. Ich hielt und schützte mit beiden Händen ein kleines Licht, das jeden Augenblick zu erlöschen drohte. Es hing aber alles davon ab, daß ich dieses Lichtlein am Leben erhielt. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß etwas mir nachfolge. Ich schaute zurück und sah eine riesengroße schwarze Gestalt, die hinter mir herkam. Ich war mir aber im selben Moment bewußt — trotz meines Schreckens — daß ich, unbekümmert um alle Gefahren, mein kleines Licht durch Nacht und Sturm hindurch retten mußte. Als ich erwachte, war es mir sofort klar: es ist das «Brockengespenst», mein eigener Schatten auf den wirbelnden Nebelschwaden, verursacht durch das kleine Licht, das ich vor mir trug.

Ich wußte auch, daß das Lichtlein mein Bewußtsein war; es ist das einzige Licht, das ich habe. Meine eigene Erkenntnis ist der einzige und größte Schatz, den ich besitze. Er ist zwar unendlich klein und zerbrechlich im Vergleich zu den Mächten der Dunkelheit, aber eben doch ein Licht, mein einziges Licht. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 94-95)

 

Über mein Haus

Besonders einer (Traum) war mir wichtig, denn er brachte mich zum ersten Mal auf den Begriff des «kollektiven Unbewußten» und bildete darum eine Art Vorspiel zu meinem Buch «Wandlungen und Symbole der Libido».

Dies war der Traum: Ich war in einem mir unbekannten Hause, das zwei Stockwerke hatte. Es war «Mein Haus». Ich befand mich im oberen Stock. Dort war eine Art Wohnzimmer, in welchem schöne alte Möbel im Rokokostil standen. An den Wänden hingen kostbare alte Bilder. Ich wunderte mich, daß dies mein Haus sein sollte und dachte: nicht übel! Aber da fiel mir ein, daß ich noch gar nicht wisse, wie es im unteren Stock aussähe. Ich ging die Treppe hinunter und gelangte in das Erdgeschoß. Dort war alles viel älter, und ich sah, daß dieser Teil des Hauses etwa aus dem 15. oder aus dem 16. Jahrhundert stammte. Die Einrichtung war mittelalterlich, und die Fußböden bestanden aus rotem Backstein. Alles war etwas dunkel. Ich ging von einem Raum in den anderen und dachte: Jetzt muß ich das Haus doch ganz explodieren!

Ich kam an eine schwere Tür, die ich öffnete. Dahinter entdeckte ich eine steinerne Treppe, die in den Keller führte. Ich stieg hinunter und befand mich in einem schön gewölbten, sehr altertümlichen Raum. Ich untersuchte die Wände und entdeckte, daß sich zwischen den gewöhnlichen Mauersteinen Lagen von Backsteinen befanden; der Mörtel enthielt Backsteinsplitter. Daran erkannte ich, daß die Mauern aus römischer Zeit stammten. Mein Interesse war nun aufs höchste gestiegen. Ich untersuchte auch den Fußboden, der aus Steinplatten bestand. In einer von ihnen entdeckte ich einen Ring. Als ich daran zog, hob sich die Steinplatte, und wiederum fand sich dort eine Treppe. Es waren schmale Steinstufen, die in die Tiefe führten. Ich stieg hinunter und kam in eine niedrige Felshöhle. Dicker Staub lag am Boden, und darin lagen Knochen und zerbrochene Gefäße wie Überreste einer primitiven Kultur. Ich entdeckte zwei offenbar sehr alte und halb zerfallene Menschenschädel. - Dann erwachte ich. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 162-163)

 

Das Rote Buch

Der alte Mann und der Ritter

Während ich daran arbeitete, hatte ich bedeutsame Träume, welche schon auf den Bruch mit Freud hinwiesen.

Einer der eindrucksvollsten spielte in einer bergigen Gegend in der Nähe der schweizerisch-österreichischen Grenze. Es war gegen Abend, und ich sah einen ältlichen Mann in der Uniform eines k. k. Zollbeamten. Etwas gebückt ging er an mir vorbei, ohne mich zu beachten. Sein Gesichtsausdruck war griesgrämig, etwas melancholisch und verärgert. Es waren noch andere Menschen da, und jemand belehrte mich, der Alte sei gar nicht wirklich, sondern der Geist eines vor Jahren verstorbenen Zollbeamten. «Das ist einer von denen, die nicht sterben konnten», hieß es.

Dies ist der erste Teil des Traumes. Nach einem Hiatus folgte ein zweiter, bemerkenswerter Teil.

Ich befand mich in einer italienischen Stadt, und es war um die Mittagsstunde, zwischen zwölf und ein Uhr. Eine heiße Sonne brannte auf die Gassen. Die Stadt war auf Hügel gebaut und erinnerte mich an eine bestimmte Stelle in Basel, den Kohlenberg. Die Gäßchen, die von dort ins Birsigtal, das sich durch die Stadt zieht, hinunterführen, sind zum Teil Treppengäß-chen. Eine solche Treppe ging hinunter zum Barfüßerplatz. Es war Basel, und doch war es eine italienische Stadt, etwa wie Bergamo. Es war Sommer, die strahlende Sonne stand im Zenit, und alles war erfüllt von intensivem Licht. Viele Menschen kamen mir entgegen, und ich wußte, daß jetzt die Läden geschlossen wurden und die Leute zum Mittagessen heimstrebten. Mitten in diesem Menschenstrom ging ein Ritter in voller Rüstung. Er stieg die Treppe hinauf, mir entgegen. Er trug einen Topfhelm mit Augenschlitzen und einen Kettenpanzer.

Darüber ein weißes Obergewand, auf dem vorne und auf dem Rücken ein großes rotes Kreuz eingewoben war. Sie können sich denken, was für einen Eindruck es auf mich machte, als plötzlich in einer modernen Stadt, mittags um die Stoßzeit des Verkehrs, ein Kreuzfahrer auf mich zukam! Vor allem fiel mir auf, daß keiner von den vielen Menschen, die unterwegs waren, ihn wahrzunehmen schien. Niemand kehrte sich nach ihm um oder schaute nach ihm; es kam mir vor, wie wenn er für die anderen vollkommen unsichtbar wäre. Ich fragte mich, was die Erscheinung zu bedeuten habe, und da war es, wie wenn mir jemand antwortete - aber es war niemand da, der es sagte - «Ja, das ist eine regelmäßige Erscheinung. Immer zwischen zwölf und ein Uhr geht der Ritter hier vorbei, und dies seit sehr langer Zeit (ich hatte den Eindruck, seit Jahrhunderten), und jedermann weiß darum.» («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 168-169)

 

Ein Ereignis auf einer prächtigen italienischen Loggia

1912, um die Weihnachtszeit, hatte ich einen Traum.

Ich befand mich auf einer prächtigen italienischen Loggia mit Säulen, Marmorboden und einer Marmorbalustrade. Dort saß ich auf einem goldenen Renaissancestuhl, vor mir ein Tisch von erlesener Schönheit. Er war aus grünem Stein, wie aus Smaragd. Ich saß und schaute ins Weite, denn die Loggia befand sich hoch oben am Turm eines Schlosses. Meine Kinder befanden sich ebenfalls am Tisch.

Mit einem Mal senkte sich ein weißer Vogel herab, eine kleine Möve oder eine Taube. Anmutig ließ sie sich auf dem Tisch nieder, und ich machte den Kindern ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten, damit sie den schönen weißen Vogel nicht verscheuchten. Alsbald verwandelte sich die Taube in ein kleines, etwa achtjähriges Mädchen mit goldblondem Haar. Es lief mit den Kindern davon, und sie spielten zusammen in den herrlichen Säulengängen des Schlosses.

Ich blieb in Gedanken versunken und dachte über das nach, was ich soeben erlebt hatte. Da kam das kleine Mädchen zurück und legte mir zärtlich den Arm um den Hals. Dann war es plötzlich verschwunden, die Taube war wieder da und sprach langsam mit menschlicher Stimme: «Nur in den ersten Stunden der Nacht kann ich mich in einen Menschen verwandeln, während der Tauber mit den zwölf Toten beschäftigt ist.» Damit entflog sie in die blaue Luft, und ich erwachte. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» s. 175)

 

Die lebenden Toten

Damals wiederholte sich eine erschreckende Phantasie: Es war etwas Totes da, das noch lebte. Z. B. wurden Leichen in Verbrennungsöfen getan, und dann zeigte es sich, daß noch Leben in ihnen war. Diese Phantasien gipfelten und lösten sich zugleich in einem Traum:

Ich war in einer Gegend, die mich an die Alyscamps bei Aries erinnerte. Dort befindet sich eine Allee von Sarkophagen, die bis auf die Merowingerzeit zurückgehen. Im Traum kam ich von der Stadt her und sah vor mir eine ähnliche Allee mit einer langen Reihe von Gräbern. Es waren Postamente mit Steinplatten, auf denen die Toten aufgebahrt waren. Dort lagen sie in ihren altertümlichen Kleidern und mit gefalteten Händen wie in alten Grabkapellen die Ritter in ihren Rüstungen, nur mit dem Unterschied, daß die Toten in meinem Traum nicht in Stein gehauen, sondern auf eine merkwürdige Weise mumifiziert waren.

Vor dem ersten Grab blieb ich stehen und betrachtete den Toten. Es war ein Mann aus den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts. Interessiert schaute ich mir seine Kleider an. Plötzlich bewegte er sich und wurde lebendig. Er nahm die Hände auseinander, und ich wußte, daß das nur geschah, weil ich ihn anschaute. Mit einem unangenehmen Gefühl ging ich weiter und kam zu einem anderen Toten, der in das 18. Jahrhundert gehörte. Da geschah das gleiche: als ich ihn anschaute, wurde er lebendig und bewegte die Hände. So ging ich die ganze Reihe entlang, bis ich sozusagen in das 12. Jahrhundert kam, zu einem Kreuzfahrer im Kettenpanzer, der ebenfalls mit gefalteten Händen dalag. Seine Gestalt schien wie aus Holz geschnitzt. Lange schaute ich ihn an, überzeugt, daß er wirklich tot sei. Aber plötzlich sah ich, daß sich ein Finger der linken Hand leise zu regen begann. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» s. 176)

 

 

Arktische Kälte im Sommer

Im Frühling und Frühsommer 1914, wiederholte sich dreimal ein Traum, daß mitten im Sommer eine arktische Kälte hereinbräche und das Land zu Eis erstarre. So sah ich z. B. die gesamte lothringische Gegend und ihre Kanäle gefroren. Alles Land war menschenleer, und alle Seen und Flüsse waren zu Eis erstarrt. Alles lebendig Grüne war erstarrt.

Dieses Traumbild kam im April und Mai und das letzte Mal im Juni 1914. Im dritten Traum war wieder eine ungeheure Kälte aus dem Weltraum hereingebrochen. Er hatte jedoch ein unvermutetes Ende: da stand ein blättertragender, aber früchteloser Baum (mein Lebensbaum, dachte ich), dessen Blätter sich durch die Einwirkung des Frostes zu süßen Weinbeeren voll heilenden Saftes verwandelt hatten. Ich pflückte die Trauben und schenkte sie einer großen harrenden Menge. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» s. 179)

 

Der Tod von Siegfried

18. Dezember 1913 hatte ich folgenden Traum:

Ich fand mich mit einem unbekannten braunhäutigen Jüngling, einem Wilden, in einem einsamen, felsigen Gebirge. Es war vor Tagesanbruch, der östliche Himmel war schon hell, und die Sterne waren am Erlöschen. Da tönte über die Berge das Hörn Siegfrieds, und ich wußte, daß wir ihn umbringen müßten. Wir waren mit Gewehren bewaffnet und lauerten ihm an einem schmalen Felspfad auf.

Plötzlich erschien Siegfried hoch oben auf dem Grat des Berges im ersten Strahl der aufgehenden Sonne. Auf einem Wagen aus Totengebein fuhr er in rasendem Tempo den felsigen Abhang hinunter. Als er um eine Ecke bog, schössen wir auf ihn, und er stürzte, zu Tode getroffen.

Voll Ekel und Reue, etwas so Großes und Schönes zerstört zu haben, wandte ich mich zur Flucht, getrieben von Angst, man könnte den Mord entdecken. Da begann ein gewaltiger Regen niederzurauschen, und ich wußte, daß er alle Spuren der Tat verwischen würde. Der Gefahr, entdeckt zu werden, war ich entronnen, das Leben konnte weiter gehen, aber es blieb ein unerträgliches Schuldgefühl.

Als ich aus dem Traum erwachte, dachte ich über ihn nach, aber es war mir unmöglich, ihn zu verstehen. So versuchte ich wieder einzuschlafen, aber eine Stimme sagte: «Du mußt den Traum verstehen, und zwar sofort!» Das innere Drängen steigerte sich bis zu dem furchtbaren Augenblick, als die Stimme sagte: «Wenn du den Traum nicht verstehst, mußt du dich erschießen!» In meinem Nachttisch lag ein geladener Revolver, und es wurde mir angst. Da begann ich noch einmal nachzudenken, und plötzlich ging mir der Sinn des Traumes auf: «Das ist ja das Problem, das in der Welt gespielt wird!» Siegfried stellt das dar, was die Deutschen verwirklichen wollten, nämlich den eigenen Willen heldenhaft durchzusetzen.

«Wo ein Wille, da ist ein Weg!» Dasselbe wollte auch ich. Aber das war nun nicht mehr möglich. Der Traum zeigte, daß die Einstellung, welche durch Siegfried, den Helden, v erkörpert war, nicht mehr zu mir paßte. Darum mußte er umgebracht werden.

Nach der Tat empfand ich ein überwältigendes Mitgefühl, so als sei ich selber erschossen worden. Darin drückte sich meine geheime Identität mit dem Helden aus, sowie das Leiden, das der Mensch erlebt, wenn er gezwungen wird, sein Ideal und seine bewußte Einstellung zu opfern. Doch dieser Identität mit dem Heldenideal mußte ein Ende gesetzt werden; denn es gibt Höheres, dem man sich unterwerfen muß, als der Ich-Wille. Diese Gedanken genügten fürs erste, und ich schlief wieder ein. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 183-184)

 

Philemon

Philemon

Philemon war ein Heide und brachte eine ägyptischhellenistische Stimmung mit einer gnostischen Färbung herauf. Seine Gestalt erschien mir zuerst in einem Traum:

Es war blauer Himmel, aber er schien wie das Meer. Er war bedeckt – nicht von Wolken, sondern von braunen Erdschollen. Es sah aus, als ob die Schollen auseinanderbrächen und das blaue Wasser des Meeres dazwischen sichtbar würde. Das Wasser war aber der blaue Himmel. Plötzlich schwebte von rechts her ein geflügeltes Wesen herbei. Es war ein alter Mann mit Stierhörnern. Er trug einen Bund mit vier Schlüsseln und hielt den einen so, wie wenn er im Begriff stünde, ein Schloß aufzuschließen. Er war geflügelt, und seine Flügel waren wie diejenigen des Eisvogels mit ihren charakteristischen Farben. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» s. 186)

 

Das Mandala von Liverpool

Ein Mandala stellte auch der Traum aus dem Jahr 1927 dar, auf den ich bereits hingewiesen habe:

Ich fand mich in einer Stadt, schmutzig, rußig. Es regnete und es war finster, es war Winter und Nacht. Das war Liverpool. Mit einer Anzahl, sagen wir einem halben Dutzend Schweizern ging ich durch die dunkeln Straßen. Ich hatte das Gefühl, wir kämen vom Meere her, vom Hafen, und die eigentliche Stadt stünde oben, auf den Cliffs. Dort hinauf gingen wir. Es erinnerte mich an Basel: der Markt liegt unten, und dann geht's durch das Totengäßchen hinauf zu einem oberen Plateau, zum Petersplatz und der großen Peterskirche. Als wir auf das Plateau kamen, fanden wir einen weiten, von Straßenlaternen schwach erleuchteten Platz, in den viele Straßen einmündeten. Die Stadtquartiere waren radiär um den Platz angeordnet. In der Mitte befand sich ein runder Teich und darin eine kleine zentrale Insel.

Während alles von Regen, Nebel, Rauch und spärlich erhellter Nacht bedeckt war, erstrahlte die kleine Insel im Sonnenlicht. Dort wuchs ein einzelner Baum, eine Magnolie, übergossen von rötlichen Blüten. Es war, als ob der Baum im Sonnenlicht stünde und zugleich selbst Licht wäre. Meine Gefährten kommentierten das abscheuliche Wetter und sahen offenbar den Baum nicht. Sie sprachen von einem ändern Schweizer, der in Liverpool wohne, und wunderten sich, daß er sich gerade hier angesiedelt habe. Ich war von der Schönheit des blühenden Baumes und der sonnenbestrahlten Insel hingerissen und dachte: Ich weiß schon warum, und erwachte. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 201-202)

 

Gefangene der Zeit

Der entscheidende Traum, der meine Begegnung mit der Alchemie vorausnahm, kam etwa 1926:

Ich bin in Süd -Tirol. Es ist Krieg. Ich befinde mich an der italienischen Front und fahre aus der Frontzone zurück mit einem kleinen Mann, einem Bauern, auf seinem Pferdewagen. Ringsum schlagen Granaten ein, und ich weiß, daß wir so rasch wie möglich weiter müssen, denn es ist sehr gefährlich'.

Wir müssen über eine Brücke hinweg durch einen Tunnel, dessen Gewölbe zum Teil durch Geschosse zerstört ist. Am Ende des Tunnels angelangt, erblicken wir vor uns eine sonnige Landschaft, und ich erkenne die Gegend von Verona. Unter mir liegt die Stadt, alles strahlt in vollem Sonnenschein.

Ich bin erleichtert, und wir fahren hinaus in die grüne, blühende lombardische Ebene. Der Weg führt durch die schöne Frühlingslandschaft, und wir sehen die Reisfelder, die Olivenbäume und die Reben. Da erblicke ich quer zur Straße ein großes Gebäude, einen Herrensitz von weiten Ausmaßen, etwa wie das Schloß eines oberitalienischen Fürsten. Es ist ein charakteristisches Herrenhaus mit vielen Dependancen und Seitengebäuden. Ähnlich wie im Louvre führt die Straße am Schloß vorbei durch einen großen Hof. Der kleine Kutscher und ich fahren durch ein Tor hinein und können von hier aus durch ein entferntes zweites Tor wieder hinaus in die besonnte Landschaft blicken.

Ich schaue mich um: rechts ist die Front des Herrenhauses, links sind die Domestikenhäuser und die Ställe, die Scheunen und andere Nebengebäude, die sich weit hinstrecken.

Wie wir mitten im Hof angelangt sind, gerade vor dem Haupteingang, geschieht etwas Unerwartetes: Mit einem dumpfen Krach gehen beide Tore zu. Der Bauer springt vom Bock seines Wagens und ruft: «Jetzt sind wir im 17. Jahrhundert gefangen!» - Resigniert denke ich: Ja, das ist so! - Aber was ist da zu machen? Jetzt sind wir auf Jahre hinaus gefangen! - Aber dann kommt mir der tröstliche Gedanke: Einmal, nach Jahren, werde ich wieder herauskommen. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 206-207)

 

Die Räume des Vaters und der Mutter

Wie fast alle Probleme, die mich menschlich oder wissenschaftlich beschäftigten, von Träumen begleitet oder vorweggenommen wurden, so auch dasjenige der Übertragung. In einem dieser Träume wurde es, zusammen mit dem Christusproblem, durch ein merkwürdiges und unerwartetes Bild angedeutet. Ich träumte wiederum, mein Haus habe einen großen angebauten Flügel, in welchem ich noch nie gewesen war. Ich nahm mir vor, ihn anzusehen und schließlich ging ich hinein. Ich gelangte an eine große Flügeltüre. Als ich sie öffnete, befand ich mich in einem Raum, wo ein Laboratorium eingerichtet war. Vor dem Fenster stand ein Tisch, bedeckt mit vielen Gläsern und allen Paraphernalien eines zoologischen Laboratoriums. Das war der Arbeitsplatz meines Vaters. Er war aber nicht da. An den Wänden standen auf Schäften hunderte von Gläsern mit allen erdenklichen Sorten von Fischen. Ich war erstaunt: «Jetzt beschäftigt sich mein Vater mit Ichthyologie!» Als ich da stand und mich umschaute, bemerkte ich einen Vorhang, der sich von Zeit zu Zeit aufbauschte, wie wenn ein starker Wind wehte. Plötzlich kam Hans, ein junger Mann vom Lande, und ich bat ihn, er möge nachsehen, ob im Raum hinter dem Vorhang ein Fenster offen stünde. Er ging hinüber, und als er nach einiger Zeit zurückkam, sah ich, daß er tief erschüttert war.

Ein Ausdruck des Schreckens lag in seinen Zügen. Er sagte nur: «Ja, da ist etwas, da spukt es!»

Dann ging ich selbst hinüber und fand eine Tür, die in den Raum meiner Mutter führte. Kein Mensch war dort. Die Atmosphäre war unheimlich. In dem sehr großen Zimmer waren an der Decke zwei Reihen von je fünf Kästen, etwa zwei Fuß über dem Boden aufgehängt. Sie sahen aus wie kleine Gartenhäuschen von etwa zweimal zwei Metern Bodenfläche, und in jedem standen zwei Betten. Ich wußte, daß an diesem Ort meine Mutter, die in Wirklichkeit schon längst gestorben war, besucht wurde, und daß sie hier Schlafgelegenheiten für Geister aufgeschlagen hatte. Es waren Geister, die paarweise kamen, sozusagen Geisterehepaare, die die Nacht oder auch den Tag dort zubrachten.

Gegenüber dem Raum meiner Mutter befand sich eine Tür. Ich öffnete sie und kam in eine riesige Halle; sie erinnerte an die Halle eines großen Hotels mit Fauteuils, Tischchen, Säulen und aller dazugehörenden Pracht. Eine laute Blechmusik spielte. Ich hatte sie schon die ganze Zeit im Hintergrund gehört, ohne jedoch zu wis sen, woher sie kam. Niemand befand sich in der Halle, nur die «brassband» schmetterte ihre Weisen, Tänze und Märsche. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 216-217)

 

Der Zweikampf in einer arabischen Stadt

Übervoll von Eindrücken und Gedanken reiste ich damals nach Tunis zurück, und in der Nacht vor unserer Einschiffung nach Marseiile hatte ich einen Traum, der nach meinem Gefühl einen Schlußstrich unter die Rechnung zog. Es gehörte sich so; denn ich hatte mich daran gewöhnt, immer zugleich auf zwei Ebenen zu leben, einer bewußten, die verstehen wollte und nicht konnte, und einer unbewußten, die es ausdrücken wollte und es nicht besser sagen konnte als in Form eines Traumes.

Ich träumte, ich sei in einer arabischen Stadt, und wie in den meisten arabischen Städten befand sich auch hier eine Zitadelle, die Kasba. Die Stadt lag in einer weiten Ebene, und eine Mauer zog sich um sie herum. Ihr Grundriß war viereckig, und es gab vier Tore. Die Kasba im Inneren der Stadt war - was in jenen Gegenden jedoch nicht der Fall ist - umgeben von einem breiten Wassergraben. Ich stand vor einer Holzbrücke, die übers Wasser zu einem der hufeisenförmigen dunkeln Tore führte. Es stand offen. Begierig, die Zitadelle auch von innen zu sehen, beschritt ich die Brücke. Als ich mich etwa in der Mitte befand, kam mir aus dem Tor ein schöner dunkler Araber von eleganter, fast königlicher Gestalt entgegen, ein Jüngling in weißem Burnus. Ich wußte, daß er der dort residierende Fürst war. Wie er mir gegenüber stand, griff er mich an und wollte mich zu Boden schlagen. Wir kämpften und rangen miteinander. Im Kampf prallten wir gegen das Geländer; es gab nach und wir fielen beide in den Graben, wo er versuchte, meinen Kopf unters Wasser zu drücken, um mich zu ertränken. Nein, dachte ich, das geht zu weit - und drückte nun meinerseits seinen Kopf unters Wasser. Ich tat das, obwohl ich eine große Bewunderung für ihn empfand, aber ich wollte mich nicht umbringen lassen. Ich wollte ihn nicht töten, sondern bloß bewußtlos und kampfunfähig machen.

Dann wechselte die Szene des Traumes,und er befand sich mit mir in einem großen achteckigen und gewölbten Raum in der Mitte der Zitadelle. Der Raum war ganz weiß, sehr einfach und sehr eindrucksvoll. Den Wänden aus hellem Marmor entlang standen niedere Sofas, und vor mir am Boden lag ein geöffnetes Buch mit schwarzen Lettern, die außerordentlich schön auf milchweißes Pergament geschrieben waren. Es war keine arabische Schrift, sondern sah eher aus wie uigurische, west-turkestanische Schrift, die mir aus den manichäischen Turfanfragmenten bekannt war. Ich kannte zwar den Inhalt nicht, hatte aber dennoch das Gefühl, es sei «mein Buch», das ich geschrieben hatte. Der junge Fürst, mit dem ich eben noch gerungen hatte, saß rechts von mir auf dem Boden. Ich erklärte ihm, er müsse nun, da ich ihn überwunden hätte, das Buch lesen. Aber dagegen sträubte er sich. Ich legte meinen Arm um seine Schulter und zwang ihn sozusagen mit väterlicher Güte und Geduld, das Buch zu lesen. Ich wußte, daß das unbedingt sein mußte, und schließlich gab er nach. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 246-247)

 

Der heilige Gral

Als ich wieder leidlich hergestellt ins Hotel zurückkehrte, hatte ich einen Traum, der so charakteristisch war, daß ich ihn erzählen möchte:

Ich befand mich mit einer Anzahl meiner Zürcher Freunde und Bekannten auf einer unbekannten Insel, die vermutlich in der Nähe der südenglischen Küste lag. Sie war klein und fast unbewohnt. Die Insel war schmal und erstreckte sich in nordsüdlicher Richtung etwa 30 km lang. Im südlichen Teil lag an der felsigen Küste ein mittelalterliches Schloß, in dessen Hof wir standen, als eine Gruppe von Touristen. Vor uns erhob sich ein imposanter Bergfried, durch dessen Tor eine breite steinerne Treppe sichtbar war. Wie man eben noch sehen konnte, mündete sie oben in eine Pfeilerhalle, die von Kerzenschimmer schwach erleuchtet war. Es hieß, dies sei die Gralsburg, und heute abend werde hier «der Gral gefeiert». Diese Information schien geheimer Natur zu sein, denn ein unter uns befindlicher deutscher Professor, der auffallend dem alten Mommsen glich, wußte nichts davon. Ich unterhielt mich mit ihm aufs lebhafteste und war von seiner Gelehrsamkeit und sprühenden Intelligenz beeindruckt. Nur eines störte mich: er sprach anhaltend von einer toten Vergangenheit und dozierte sehr gelehrt über das Verhältnis der britischen zu den französischen Quellen der Gralsgeschichte.

Anscheinend war er sich weder des Sinnes der Legende bewußt, noch bekannt mit ihrer lebendigen Gegenwart, während ich von beiden aufs stärkste beeindruckt war. Auch schien er die unmittelbare wirkliche Umgebung nicht wahrzunehmen, denn er benahm sich so, als ob er in einem Hörsaal vor seinen Studenten spräche. Vergebens versuchte ich ihn auf die Eigenartigkeit der Situation aufmerksam zu machen. Er sah die Treppe nicht und nicht den festlichen Schimmer der Halle.

Ich blickte etwas hilflos um mich und entdeckte, daß ich an der Mauer eines hohen Burggebäudes stand, dessen unterer Teil wie mit einem Spalier bedeckt war. Es bestand aber nicht wie üblich aus Holz, sondern aus schwarzem Eisen, das kunstvoll wie ein Weinstock geformt war, mit Blättern, Ranken und Trauben. Auf den horizontalen Ästen standen im Abstand von je zwei Metern kleine, ebenfalls eiserne Häuschen, wie Nistkästen. Plötzlich sah ich eine Bewegung im Laub; zuerst schien sie von einer Maus herzurühren, dann aber sah ich deutlich ein kleines eisernes Kapuzenmännchen, einen Cucullatus, der von einem Häuschen in ein anderes huschte. «Nun», rief ich erstaunt dem Professor zu, «da sehen Sie ja ...»

In diesem Augenblick trat ein Hiatus ein, und der Traum änderte sich. Wir waren - die gleiche Gesellschaft wie vorher, aber ohne den Professor - außerhalb der Burg in einer baumlosen felsigen Landschaft. Ich wußte, daß etwas geschehen mußte, denn der Gral war noch nicht in der Burg, und er sollte noch am gleichen Abend gefeiert werden. Es hieß, er sei im nördlichen Teil der Insel in einem kleinen unbewohnten Haus versteckt, dem einzigen, das sich dort befände. Ich wußte, daß es unsere Aufgabe war, den Gral von dort zu holen. Wir waren etwa unserer sechs, die sich aufmachten und nach Norden wanderten. Nach mehrstündigem angestrengtem Marsch langten wir an der schmälsten Stelle der Insel an, und ich entdeckte, daß sie von einem Meeresarm in zwei Hälften geteilt war. An der engsten Stelle betrug die Breite des Wassers etwa hundert Meter. Die Sonne war untergegangen, und die Nacht brach an. Müde lagerten wir uns am Boden. Die Gegend war menschenleer und öde. Kein Baum, kein Strauch, nur Gras und Felsen. Weit und breit keine Brücke und kein Schiff. Es war sehr kalt, und meine Gefährten schliefen einer nach dem anderen ein. Ich überlegte, was zu tun sei und kam zu dem Schluß, daß ich allein über den Kanal schwimmen und den Gral holen müsse. Schon zog ich meine Kleider aus, als ich erwachte. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 284-286)

 

Ein besonderer Traum in Arona

Schon früh hatte ich die Erfahrung gemacht, daß ich die Gestalten des Unbewußten, oder von ihnen oft ununterscheidbar, die «Geister der Abgeschiedenen» zu belehren hätte. Das erste Mal erlebte ich das auf einer Velotour durch Ober-Italien, die ich 1911 mit einem Freund unternommen hatte. Auf dem Heimweg kamen wir von Pavia nach Arona, am unteren Teil des Lago Maggiore und übernachteten dort. Wir hatten im Sinn, dem See entlang und dann weiter durch den Tessin bis Faido zu fahren. Dort wollten wir den Zug nach Zürich nehmen. Aber in Arona hatte ich einen Traum, der unsere Pläne über den Haufen warf.

Im Traum befand ich mich in einer Versammlung erlauchter Geister aus früheren Jahrhunderten und hatte ein ähnliches Gefühl wie später gegenüber den «erlauchten Ahnen», die sich im schwarzen Stein meiner Vision von 1944 befanden. Die Unterhaltung wurde auf Lateinisch geführt. Ein Herr mit einer Allongeperücke sprach mich an und stellte mir eine schwierige Frage, an deren Inhalt ich mich beim Erwachen nicht mehr erinnern konnte. Ich verstand ihn, beherrschte die Sprache aber nicht genügend, um ihm lateinisch zu antworten. Das beschämte mich aufs tiefste, so daß die Emotion mich weckte.

Schon im Augenblick des Erwachens fiel mir meine damalige Arbeit «Wandlungen und Symbole der Libido» ein, und ich hatte derartige Minderwertigkeitsgefühle ob der nicht beantworteten Frage, daß ich sofort den Zug nach Hause nahm, um mich an die Arbeit zu begeben. Es wäre mir unmöglich gewesen, die Velotour fortzusetzen und noch drei Tage dafür zu opfern. Ich mußte arbeiten, um die Antwort zu finden. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» ss. 309-310)

 

Der Platz beim Schloß Rapperswil

So träumte ich einmal, daß ich einen Freund besuchte, der etwa vierzehn Tage zuvor gestorben war. In seinem Leben hatte er nie etwas anderes gekannt als eine konventionelle Weltanschauung, und in dieser reflexionslosen Haltung war er stecken geblieben. Seine Wohnung befand sich auf einem Hügel, ähnlich dem Tüllinger Hügel bei Basel. Dort stand ein altes Schloß, dessen Ringmauer einen Platz mit einer kleinen Kirche und einigen kleineren Gebäuden umgab. Er erinnerte mich an den Platz beim Schloß Rapperswil. Es war Herbst. Die Blätter der alten Bäume waren schon golden gefärbt, und milder Sonnenschein verklärte das Bild. Dort saß mein Freund an einem Tisch mit seiner Tochter, die in Zürich Psychologie studiert hatte. Ich wußte, daß sie ihm die nötigen Aufklärungen über Psychologie gab. Er war so fasziniert von dem, was sie zu ihm sagte, daß er mich nur mit einer flüchtigen Handbewegung begrüßte, so als wollte er mir zu verstehen geben: «Störe mich nicht!» Der Gruß war gleichzeitig ein Abwinken.

Der Traum sagte mir, daß er jetzt auf eine mir natürlich unwißbare Art und Weise die Wirklichkeit seines psychischen Daseins realisieren müsse, wozu er in seinem Leben niemals imstande gewesen war. Zum Traumbild fielen mir später die Worte ein: «Heilige Anachoreten gebirgauf verteilt...» Die Anachoreten in der Schlußszene des zweiten Teils von Faust sind als Darstellung von verschiedenen Entwicklungsstufen gedacht, die sich ergänzen und gegenseitig erhöhen. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» s. 312)

 

Der Tod meiner Mutter

Ein anderes Erlebnis, das mir zu denken gab, hatte ich vor dem Tode meiner Mutter. Als sie starb, befand ich mich im Tessin. Ich war erschüttert über die Nachricht, denn ihr Tod war unerwartet plötzlich gekommen. In der Nacht vor ihrem Tode hatte ich einen erschreckenden Traum: Ich befand mich in einem dichten, finsteren Wald; phantastische, riesige Felsblöcke lagen zwischen gewaltigen, urwaldartigen Bäumen. Es war eine heroische, urweltliche Landschaft. Mit einem Male hörte ich ein gellendes Pfeifen, das durch das Universum zu hallen schien. Die Knie wurden mir weich vor Schrecken. Da krachte es im Gebüsch, und ein riesiger Wolfshund mit einem furchtbaren Rachen brach heraus. Vor seinem Anblick gerann mir das Blut in den Adern. Er schoß an mir vorbei, und ich wußte: jetzt hat der Wilde Jäger ihm befohlen, einen Menschen zu apportieren. Mit Todesschrecken erwachte ich, und am folgenden Morgen erhielt ich die Nachricht vom Tode meiner Mutter. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» s. 316)

 

Die Begnung mit mir Selbst, der Meditierende, der mich erträumt

Über das Problem der Beziehung von Selbst und Ich hatte ich schon einmal geträumt. In jenem früheren Traum befand ich mich auf der Wanderschaft. Auf einer kleinen Straße ging ich durch eine hügelige Landschaft, die Sonne schien, und ich hatte einen weiten Ausblick ringsum. Da kam ich an eine kleine Wegkapelle. Die Tür war angelehnt, und ich ging hinein. Zu meinem Erstaunen befand sich auf dem Altar kein Muttergottesbild und auch kein Crucifix, sondern nur ein Arrangement aus herrlichen Blumen. Dann aber sah ich, daß vor dem Altar, auf dem Boden, mir zugewandt, ein Yogin saß – im Lotus-Sitz und in tiefer Versenkung. Als ich ihn näher anschaute, erkannte ich, daß er mein Gesicht hatte. Ich erschrak zutiefst und erwachte an dem Gedanken: Ach so, das ist der, der mich meditiert. Er hat einen Traum, und das bin ich. Ich wußte, daß wenn er erwacht, ich nicht mehr sein werde. («Erinnerungen, Träume, Gedanken» s. 326)

Shadow

 

Fakten

Publikationen des Psychotherapeuten Carl Jung

Die gesammelten Werke von Carl Jung füllen 19 Bände. Die meisten von ihnen wurden erst nach seinem Tod ins Englische und in andere Sprachen übersetzt. «Das Rote Buch», dass Jung während seiner 16-jährigen Schaffensphase geschrieben hatte, blieb bis 2009 unveröffentlicht. Für dieses Buch recherchierte Jung hauptsächlich in seinem eigenen Unterbewusstsein. Fachleute weltweit strengten sich an, die Familie Jungs davon zu überzeugen, die Veröffentlichung dieses Werks zu ermöglichen. Die 205 Seiten des Buches füllte der Autor mit kalligraphischen Schriften und verzierte sie zusätzlich mit eigens angefertigten Bildern.

 

Carl Jung und die Kunsttherapie

Jung war einer der ersten, der die Kunst als eigene Therapie in Betracht zog. Er warb für die Nutzung dieser Therapieform zur Behandlung von Traumata, Angstzuständen, Phobien und anderem. Jung selbst liebte es zu zeichnen. Als er noch ein Kind war, zeichnete er fast jeden Tag. In der Schule wurde Jung von seiner Kunstlehrerin wegen zeichnerischer Unfähigkeit vom Unterricht suspendiert.

 

Erfahrungen mit Geistern

Jung war neugierig auf alles okkulte im Leben. Nach dem Besuch mehrerer Séancen war er tief beeindruckt.

Redakteur Joseph Campbell berichtet über eine dieser Séancen:
"“Er war in seinem Zimmer und studieren. Die Tür zum Esszimmer, wo seine verwitwete Mutter am Fenster Strickte war halb geöffnet. Auf einmal war ein lauter Knall zu hören, der wie aus der Pistole geschossen kam und den kreisrunden Nussbaum-Tisch neben ihr, von einer Seite bis über die Mitte spaltete Zwei Wochen später, fand der junge Medizinstudenten abends zuhause seine Mutter, die vierzehnjährige Schwester und die Markt in großer Aufregung. Etwa eine Stunde zuvor war ein ohrenbetäubendes Krachen von einem schweren Sideboard aus dem 19. Jahrhundert zu hören gewesen. In der Nähe des Schranks entdeckte Jung das Brotmesser mit einer in Stücke zerbrochenen Klinge. In einer Ecke des Brotkorbs befand sich der Griff des Messers, in der anderen nur noch Bruchteile der Klinge…“"

Weshalb der weisse Mann komplett verrückt ist

Während seines Besuches bei den Pueblo Indios führte Carl Jung das folgende Gespräch mit einem von ihnen:
"Siehst du," sagte Ochwiay Biano,"wie grausam die Weißen aussehen? Ihre Lippen sind dünn, die Nase scharf, ihre Gesichter gefurcht und verzerrt durch Falten. Sogar Ihre Augen haben einen starren Ausdruck; Sie suchen immer nach etwas. Was suchen sie? Die Weißen wollen immer etwas; Sie sind immer unruhig und rastlos. Wir wissen nicht, was sie wollen. Wir verstehen sie nicht. Wir denken, dass sie verrückt sind."
Ich fragte ihn, warum er denkt, dass alle Weiße verrückt sind.
"Sie sagen, dass sie mit ihren Köpfen denken", antwortete er. "Aber natürlich. Was meinst denn du?" fragte ich überrascht. "Wir denken hier", sagte er und zeigte auf sein Herz.

Carl Jung und die anonymen Alkoholiker

Carl Gustav Jung hatte außerdem einen indirekten Einfluss auf die Schaffung der Organisation der Anonymen Alkoholiker. Jung glaubte stets, dass Vertrauen und Spiritualität kranken Menschen helfen kann sich vom Alkoholismus zu befreien.